Es ging auf Mitternacht zu, doch ich war noch nicht müde. Eine kühle Brise wehte vom offenen Meer über den Strand. Die Fackeln, die überall im Sand steckten, begannen wild zu flackern. Auf dem Sandboden lagen Blumen verstreut, die bereits vor sich hinwelkten und deren leichter, süßer Duft sich mit dem Bratengeruch der vielen Köstlichkeiten vermischte, die sich auf der langen Hochzeitstafel aufreihten.

Ich starrte in das riesige Feuer, dessen Schein sich auf den glänzenden Gesichtern der Musiker spiegelte, die trommelnd und flötend und zupfend ihr Bestes gaben – und das schon seit mehreren Stunden. Die Truppe bestand aus einem Mann und drei Frauen, die abwechselnd verschiedene Instrumente spielten und dazu sangen. Wenn sie müde waren, sah man es ihnen nicht an. Mit ihren gewaltigen Stimmen übertönten sie das Knacken und Knistern des Feuers, das drei Meter hoch in den Himmel flackerte und glühende Funken in die Nacht schickte.

Ich nippte an meinem Becher und genoss den süffigen Geschmack des Bieres, während ich zu der Gruppe der Mädchen hinübersah, die zu Ehren des Brautpaares einen Tanz aufführten. Sie bewegten sich anmutig und einheitlich. Alle sieben trugen weiße Kleider und dazu goldene Arm- und Fußreifen, die im Feuerschein glühten, ebenso wie ihre fröhlichen Gesichter. Die weißen Blumen in ihren Haaren schimmerten rosafarben. Ohne den Kopf zu bewegen, verfolgte ich jede ihrer Bewegungen. Ich kannte den Text des Liedes, das gesungen wurde, doch wagte ich mich nicht in die Gesellschaft derer, die nahe bei den tanzenden Mädchen standen und diese durch ihren Gesang und rhythmisches Klatschen anfeuerten.

Ich stand einfach nur da und sah aus sicherer Entfernung zu. 

Plötzlich stieß mich jemand so kräftig an, dass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte. Etwas von dem Bier spritzte auf mein Festtagsgewand, das mir etwas zu locker um den Körper hing. 

»Sind Hochzeiten nicht was Feines?«, fragte Tarek und legte lässig seinen linken Arm um meine Schulter, während er mit dem anderen auf das Feuer vor uns deutete. Sein Gewand, das meinem genau gleich war und das unser Vater uns auf dem Festland bei den Lagurún gekauft hatte, passte ihm natürlich hervorragend. Sein Atem roch stark nach Bier. »Alle Köstlichkeiten der vier Stämme, vorzügliches Bier aus Egit und hübsche Mädchen, die darauf warten, zum Tanzen aufgefordert zu werden!« Er grinste und trank einen Schluck. »Findest du nicht auch?«, fragte er, als ich nicht antwortete. 

Mit seinem Arm über meiner Schulter starrten wir zu den Mädchen am Feuer hinüber. 

»Ich weiß ja nicht, wie es dir geht«, sagte Tarek weiter, »aber wenn du mich fragst, ist Dina die Hübscheste von allen und auch die beste Tänzerin – grazil wie eine Schlange.« Er lächelte und trank einen Schluck.

»Kann schon sein«, murmelte ich. Natürlich teilte ich seine Meinung, wollte das jedoch nicht vor Tarek zugeben. 

»Kann schon sein? Kann schon sein?«, fragte er empört. »Du bist mir ja einer! Aber du warst noch nie ein guter Lügner, Bruder. So glücklich siehst du sonst nur aus, wenn du ein Raptorjunges entdeckst.«

Ich schüttelte seinen Arm von meiner Schulter und trat einen Schritt zur Seite. 

»Was denn?«, fragte Tarek mit gespielter Entrüstung. »Mir gegenüber kannst du es doch zugeben. Bist schließlich nicht der Einzige, dem es so geht.«

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, den er nicht weiter beachtete. »Schau nur«, sagte er. »Überall schleichen sie im Schutze der Dunkelheit herum, junge Kerle wie du und ich, die sich alle nach ihr verzehren und gleichzeitig wissen, dass sie bei ihr keine Chance haben, weil Dikla seine hübsche Tochter nur einem Häuptlingssohn geben wird.«

Er nahm noch einen Schluck und grinste zufrieden. Ich folgte seinen Blicken und musste ihm recht geben. Ich war nicht der einzige junge Beobachter, doch im Gegensatz zu den meisten der anderen Dirázanti war ich ein Häuptlingssohn – genau wie Tarek.

»Komm, sprich sie an und fordere sie zum Tanz auf!«, sagte Tarek. 

Ich schwieg einen Moment, um mir eine gute Ausrede zurechtzulegen, doch mir wollte keine einfallen. »Vielleicht später.«

Tarek grinste mich an, weil wir beide genau wussten, dass ich mich dazu nicht überwinden würde, selbst dann nicht, wenn ich einen ganzen Krug Bier geleert hätte. 

»Na, pass nur auf, dass es dann nicht zu spät ist, und ein anderer dir zuvorkommt!«

Ich gab ihm keine Antwort. 

Er fuhr fort: »Hab hier übrigens einige nette Mädchen kennengelernt, ohne dass ich mich für eine bestimmte entschieden hätte. Aber ich könnte mir vorstellen, dass du bei den Dirálathan fündig wirst, Bruder. Letztes Jahr hat Vater dich noch Dirázanti spielen lassen, aber spätestens nächstes Jahr wird er darauf bestehen, dass du dir eine Braut suchst. Oder er übernimmt das für dich. Wenn ich dir einen Rat geben darf, nimm dir eine von Ligdors Töchtern. Du hast die Wahl. Kannst dich über Sinala erbarmen oder dir Jaleh oder Indra sichern.« Er lachte. »Die beiden haben kaum die Puppen beiseitegelegt und schon stehen die Bewerber Schlange.« 

»Mal sehen«, erwiderte ich nur. Vor ziemlich genau einem Jahr hatte für Tarek und mich die Ausbildung zum Häuptling begonnen. Als die zukünftigen Führer unseres Volkes wurde von uns erwartet, dass wir jeweils ein Jahr bei den anderen drei Stämmen lebten, um dort von den Häuptlingen etwas über ihre spezifische Arbeit mit den jeweiligen Dinosauriern zu lernen. Während dieser Zeit suchten sich die meisten Häuptlingssöhne eine Frau, in der Regel eine Häuptlingstochter. Tarek hatte das vergangene Jahr an der Ostküste der Insel bei den Dirálathan verbracht, weshalb er auch viele der anwesenden Hochzeitsgäste kannte. Ich selbst hatte die letzten Monate bei den Dirázan gelebt und bei meinem besten Freund Katún gewohnt, dessen Vater Kalek für meine Ausbildung verantwortlich gewesen war. Es war ein lehrreiches, aber vergnügliches Jahr gewesen. Kalek hatte mich zu jedem Nest aller pflanzenfressenden Diráz auf der Insel mitgenommen und-. 

»Ach ja«, unterbrach Tarek meine Gedanken. »Wenn ich dir noch einen Rat geben darf, halte dich von Djako fern.«

»Wer ist das?«

»Einer von Ligdors Jungs. Sucht gerne Streit. Er mag uns Dirázar nicht besonders und er weiß, dass du als nächstes kommst. Bei ihm darfst du keine Schwäche zeigen. Du musst von Anfang an klarmachen, dass du dich nicht herumschubsen lässt, dann stehst du das Jahr gut durch.«

Ich nahm einen Schluck. »Wie sieht er aus?«

Ohne den Blick von den tanzenden Mädchen abzuwenden antwortete Tarek: »Er steht dort hinten, rechts vom Feuer, und schaut immer mal wieder zu uns rüber. Seine drei Kumpane weichen ihm selten von der Seite.«

Ich schaute in die Richtung und ließ den Blick über die versammelte Menge schweifen. Jetzt sah ich ihn. Djako war ein junger Dirázanti, schätzungsweise in meinem Alter. Er war muskulös und sein Gesicht hatte harte Züge. Jetzt blickte er kurz in unsere Richtung. Schnell wandte ich den Blick ab und nahm einen langen Zug aus meinem Becher.

»Vater hat mir übrigens gesagt, dass ich als nächstes zu den Diráphim gehen darf. Dikla selbst wird mich ausbilden. Und, freust du dich für mich?«, fragte Tarek und schlug mir lachend mit der flachen Hand auf den Rücken. 

»Natürlich«, log ich ihn an und setzte ein falsches Lächeln auf. 

Die Musiker gaben jetzt alles, um dann mit einem großen Jubelruf dramatisch zu enden. Die Mädchen vollführten ihre letzten Drehungen, bevor sie sich taumelnd und lachend gegenseitig in die Arme fielen. Im Feuerschein konnte ich ihre Gesichter erkennen, die keine Anzeichen von Erschöpfung aufwiesen. Eine ihrer Freundinnen sagte Dina etwas ins Ohr, sodass sie den Kopf zur Seite gedreht hatte und direkt in unsere Richtung blickte. Sie schenkte uns ein breites Lächeln. Jedenfalls bildete ich mir ein, dass es uns galt.

Mir klopfte das Herz und ich war unfähig, mich zu rühren. Tarek hingegen lächelte zurück und winkte ihr lässig zu. Sie winkte zurück und ihre Freundin sah nun ebenfalls in unsere Richtung. Gerade wollte ich meinen Arm heben, um ebenfalls zu winken, als Tarek mir seinen Becher in die Hand drückte. 

»Hier, halt das bitte mal für mich, Bruderherz.«

Verdutzt griff ich nach dem Becher. Tarek winkte mir lachend nach und lief auf die Mädchen zu. 

»Mistkerl«, zischte ich leise, als ich sah, wie er auf Dina zutrat und sie zum Tanzen aufforderte. Jetzt kamen auch andere junge Burschen angelaufen und baten um einen Tanz. Die Musiker stimmten ein neues Lied an und die Feier ging weiter. 

Doch nicht für mich. Ich ärgerte mich sowohl über meinen Bruder als auch über meine Feigheit. Ich trank meinen Becher aus und blickte mich um. Ich hatte keine Lust, Tarek zuzuschauen, wie er sich vergnügte. Also beschloss ich, Katún zu suchen. Er war drei Jahre jünger als ich und mit zwölf Jahren interessierte er sich noch mehr für die Dinosaurier, als für Mädchen. In einigen Jahren würde sich das ändern, doch ich war froh, dass wenigstens er mir Dina nicht streitig machte. Es war schon schlimm genug, dass mein Bruder und ich uns für dasselbe Mädchen interessierten. Das Letzte, was ich wollte, war, dass der Streit um ein Mädchen unsere Freundschaft zerstörte. 

Wie ich Katún kannte, trieb er sich wahrscheinlich beim Essen herum. Mir war zwar der Appetit vergangen, aber möglicherweise würde eine gebratene Schildkröte mich etwas ablenken. 

»Hey, du bist doch Tiran, oder?«

Ich blieb stehen und drehte mich um. Djako und seine drei Freunde hatten sich im allgemeinen Trubel an mich herangeschlichen. Ich straffte die Schultern und zwang mich, ihm in die Augen zu schauen, die mich ungnädig musterten.

»Ja, der bin ich.«

Djako musterte mich von oben bis unten. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich in meinem zu groß geratenen und befleckten Gewand jämmerlich aussah. Jedenfalls fühlte ich mich so. 

»Wie ich höre, kommst du bald zu uns ans Meer«, sagte Djako herausfordernd. Seine Freunde grinsten. 

»Ja, das habe ich auch gehört«, antwortete ich. 

»Hast bestimmt vor, dir bei uns eine Frau zu suchen, was?«

Ich wandte den Blick ab und lächelte dümmlich, als ob er etwas vollkommen Idiotisches gesagt hätte. 

»Ich komme, um etwas über die Meeressaurier zu lernen, weiter nichts«, erwiderte ich. 

Djako grinste mich höhnisch an und trat noch einen Schritt näher auf mich zu. »Das hört sich gut an, Tiran. Es gibt da so einige Lektionen, die wir dir beibringen werden.«

Ich gab ihm keine Antwort.

»Dann genieße noch die Feier«, sagte Djako und hob seinen Becher wie zu einem Gruß. »Ich freue mich schon auf dich.«

Ich schluckte und sah ihnen hinterher, wie sie lachend davon gingen. Ich stand alleine da und sehnte mich nach einem Vertrauten. Langsam setzte ich mich in Bewegung und ließ meinen Blick über die Menge schweifen, in der Hoffnung, Katún irgendwo zu entdecken. Doch ich erkannte nur Tarek, der ausgelassen mit Dina tanzte. 

Mein Magen verkrampfte sich. Ich gab die Suche auf und ging auf direktem Weg zu der Hütte, die uns als Nachtlager diente.


Ich hoffe, dir hat dieser exklusive Auszug aus dem kommenden Kurzgeschichtenband gefallen. Vielen Dank fürs Lesen!