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Wenn Pastoren-Söhne spielen …

Einer der besten Glücksgriffe dieses Jahr war das Buch Bummel durch Europa von Mark Twain. Die hübsche Hardcover-Ausgabe wartete geduldig im örtlichen Ikea-Bücherregal, um von mir mitgenommen zu werden (ich meine damit das öffentliche Bücherboard im Foyer und nicht die Deko in der Möbelausstellung).

Mark Twain kannte ich bis dato nur von seinem Klassiker Tom Sawyer und Huckleyberry Finn. Dieser Roman hatte mir bereits viel Vergnügen bereitet und ich war gespannt, was Bummel durch Europa zu bieten hatte.

Um es kurz zu machen: Bei keinem anderen Buch habe ich in den letzten Jahren so Lachen müssen. Der Schreibstil von Twain ist grandios und wie er seine Eindrücke in Europa schildert ist beste Unterhaltung. Ich könnte jetzt unzählige Seiten mit urkomischen Stellen zitieren, aber ich beschränke mich auf eine einzige.

Der Kontext.

Twain war gerade in der Schweiz unterwegs und beobachtete ein paar Jungen, wie sie auf einem Misthaufen Bergsteiger spielten. Angesichts dieser Szene kam ihm folgender Gedanke:


Überall bekommt der pfiffigste Junge die Rolle des Helden: in der Schweiz ist er Oberbergführer, in Nevada Obersteiger, in Spanien Obertorero und so weiter, aber ich kannte einen Pfarrersohn, sieben Jahre alt, der einmal eine Rolle für sich auswählte, gegen welche die soeben erwähnten nichtig und bedeutungslos sind. Jimmys Vater verbot ihm eines Sonntags, imaginäre Pferdewagen zu kutschieren – verbot ihm am nächsten Sonntag, den Kapitän eines imaginären Dampfers zu spielen – verbot ihm am folgenden Sonntag, eine imaginäre Armee in die Schlacht zu führen – und so weiter.

Schließlich sagte der kleine Kerl: „Ich habe alles versucht, und nichts darf ich machen. Was darf ich denn spielen?“

„Ich weiß es selbst nicht, Jimmy; aber du darfst nur Sachen spielen, die dem Sabbat angemessen sind.“

Am nächsten Sonntag schlich der Pfarrer zur Tür eines Hinterzimmers, um nachzusehen, ob die Kinder nicht mit Unrechtem beschäftigt wären. Er lugte hinein. Mitten im Zimmer stand ein Stuhl, und an seiner Rückenlehne hing Jimmys Mütze; eine der kleinen Schwestern nahm die Mütze herab, knabberte daran, gab sie dann an eine andere kleine Schwester weiter und sagte: „Nimm von dieser Frucht, denn sie ist gut.“ Hochwürden erfasste die Situation – o weh, sie spielten die Vertreibung aus dem Paradies! Aber ein Krümelchen Trost fand er dabei. Er sagte sich: ‚Wenigstens hat Jimmy die Hauptrolle abgetreten – ich habe ihm Unrecht getan, ich hätte nicht geglaubt, dass so viel Bescheidenheit in ihm steckt; ich hätte erwartet, dass er entweder Adam oder Eva spielte.‘ Dieses Krümelchen Trost hielt nur sehr kurze Zeit vor; er schaute umher und sah Jimmy in achtungsgebietener Pose, mit düsterer, unheilverkündender Miene, in der Ecke stehen. Es war sehr klar, was das bedeutete – er stellte die Gottheit dar! Man bedenke die arglose Erhabenheit dieses Einfalls! (Mark Twain, Bummel durch Europa)


Meines Wissens haben meine Geschwister und ich (allesamt brave Pastorenkinder) nie die Vertreibung aus dem Garten Eden gespielt.

Ich kann mich allerdings noch gut daran erinnern, wie wir mit den Nachbarskindern die Geschichte aus Lukas 10, vom barmherzigen Samariter spielten. Leider konnten wir uns nicht an das Originalskript halten. Bei uns lief die Geschichte so ab:

Ein Junge ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter Räuber; die ihn auch auszogen und ihm Schläge versetzten und weggingen und ihn halb tot liegen ließen (naja, nicht wirklich). Zufällig wurde seine Mutter Zeuge des Überfalls und eilte zu seiner Rettung, worauf die Räuber sich in alle vier Himmelsrichtungen zerstreuten.

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