Fressen und gefressen werden – oder, gab es den Tod schon vor dem Sündenfall?

Eines der Argumente von Seiten der Junge-Erde-Kreationisten gegen eine alte Erde ist der Einwand, dass nach Aussagen der Bibel der Tod erst mit dem Sündenfall in die Welt kam und erst danach das große Sterben begann. Vertreter einer alten Erde oder der theistischen Evolution gehen davon aus, dass der Tod in der Tierwelt schon vor dem Sündenfall existierte.

Junge-Erde-Kreationisten verweisen gerne auf die Aussagen des Paulus im Römer- und Korintherbrief. Die erste Stelle ist Römer 5,12:

»Durch einen einzigen Menschen – Adam – hielt die Sünde in der Welt Einzug und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise ist der Tod zu allen Menschen gekommen, denn alle haben gesündigt.« (NGÜ)

Paulus bezieht sich hier natürlich auf den Bericht vom sogenannten Sündenfall in 1. Mose 3. Seit dem Sündenfall ist nichts mehr so, wie es einmal war. Alles ist in Mitleidenschaft gezogen worden. Paulus schreibt, dass die ganze Schöpfung unter der Last der Sünde »seufzt«. Hören wir ihn weiter:

»Denn die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, allerdings ohne etwas dafür zu können. Sie musste sich dem Willen dessen beugen, der ihr dieses Schicksal auferlegt hat. Aber damit verbunden ist eine Hoffnung: Auch sie, die Schöpfung, wird von der Last der Vergänglichkeit befreit werden und an der Freiheit teilhaben, die den Kindern Gottes mit der künftigen Herrlichkeit geschenkt wird. Wir wissen allerdings, dass die gesamte Schöpfung jetzt noch unter ihrem Zustand seufzt, als würde sie noch in Geburtswehen liegen.« (Römer 8,20-22, NGÜ)

Es fällt nicht schwer, Paulus hier zu verstehen. Es ist nun mal leider Tatsache, dass der Mensch in seiner Gier rücksichtslos mit Gottes guter Schöpfung umgeht und dabei viele Tierarten ausgerottet und Ökosysteme dezimiert hat. Wirklich, die Schöpfung seufzt und wer will das bestreiten?

Ein weiteres Argument, das häufig angeführt wird, ist die Feststellung, dass die Bibel den Tod als unseren Feind betrachtet. Hören wir noch einmal auf Paulus, wenn er von der Wiederherstellung aller Dinge durch Jesus Christus spricht:

»Denn er [Christus] muss herrschen, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod weggetan.« (1. Korinther 15,25-26)

Es fällt uns auch nicht schwer, dieses Bild zu verstehen. Wir Menschen haben Angst vor dem Tod. Wir sind schockiert, wenn wir in den Nachrichten über den tragischen Tod von Menschen lesen. Selbst wenn liebe Verwandte von uns ruhig und friedlich einschlafen, stehen wir trauernd an ihren Gräbern. Der Tod ist nicht unser Freund, sondern unser Feind.

Es ist ein Fluch, den Gott auf uns gelegt hat, weil wir uns von ihm losgesagt haben. Gott hat unsere ersten Eltern gewarnt, dass der Ungehorsam gegen sein Gebot den Tod zur Folge haben würde:

»Und Gott, der HERR, gebot dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben!« (1. Mose 2,16-17).

Aufgrund dieser Bibelstellen gehen Junge-Erde-Kreationisten davon aus, dass es den Tod vor dem Sündenfall nicht gegeben hat – auch nicht im Tierreich. Auch die Devise »Fressen und gefressen werden« wird als Folge des Sündenfalls gesehen, da angenommen wird, dass alle Tiere in ihrem ursprünglichen Zustand Vegetarier waren, wie aus 1. Mose 1,30 abgeleitet wird, wo Gott sagt:

»Aber allen Tieren der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, in dem eine lebende Seele ist, habe ich alles grüne Kraut zur Speise gegeben.«

Dazu passt noch die Aussage des Propheten Jesaja, der über das Friedensreich des endzeitlichen Messias schreibt:

»Kuh und Bärin werden miteinander weiden, ihre Jungen werden zusammen lagern. Und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.« (Jes 11,7; vgl. auch Jes 65,25)

Es scheint, dass hier das ursprüngliche Paradies wiederhergestellt wird, in dem es das Motto »Fressen und gefressen werden« nicht gab.

Wie gehen Vertreter einer alten Erde mit diesen Einwänden um?

Tod ist nicht gleich Tod

Wir müssen uns genau ansehen, was die Bibel sagt und was nicht. Beginnen wir mit der theologisch wichtigsten Stelle, Römer 5,12. Hier ist wieder der Wortlaut nach der Neuen Genfer Übersetzung:

»Durch einen einzigen Menschen – Adam – hielt die Sünde in der Welt Einzug und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise ist der Tod zu allen Menschen gekommen, denn alle haben gesündigt.« (NGÜ)

Achten wir darauf, dass Paulus hier sagt, dass »der Tod zu allen Menschen gekommen ist«. Im engeren Sinne macht Paulus damit nur eine Aussage über uns Menschen, nicht aber unbedingt über die Tierwelt (denn die war ihm nicht wichtig).

Wenn wir uns den Bericht in 1. Mose noch einmal genauer anschauen, dann fällt dabei Folgendes auf:

Gott sagt Adam zwar, dass er an dem Tag sterben wird, an dem er von der verbotenen Frucht isst, aber Tatsache ist, dass Adam nicht sofort tot umgefallen ist, obwohl er das Gebot übertreten hat (vgl. 1. Mose 3).

Als Gott Adam für seine Übertretung zur Rechenschaft zieht, sagt er weiter:

»Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: Du sollst davon nicht essen! – so sei der Erdboden deinetwegen verflucht: Mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens, und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen! Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du, und zum Staub sollst du zurückkehren!« (1. Mose 3,17-19)

Der letzte Satz spielt offensichtlich auf Adams physischen Tod an, der jedoch nicht unmittelbar eintrat. Adam war zu einem Leben der Mühsal verdammt, bis er sterben würde. Nach dem biblischen Zeugnis starb Adam dann im Alter von 930 Jahren! (Vgl. 1. Mose 5,5)

Ist das ein Widerspruch? Nur wenn man behauptet, dass Mose in 1. Mose 2,17 über den physischen Tod spricht. Aus dem biblischen Gesamtzusammenhang geht jedoch klar hervor, dass es um den geistlichen Tod des Menschen ging – die Trennung von Gott.

Der geistliche Tod

Es gibt wohl kaum eine Bibelstelle, die diese Tatsache besser erklärt als Epheser 2. Dort beschreibt Paulus die Bekehrung der Christen in Ephesus mit den folgenden Worten:

»Auch euch hat Gott zusammen mit Christus lebendig gemacht. Ihr wart nämlich tot – tot aufgrund der Verfehlungen und Sünden, die euer früheres Leben bestimmten. Ihr hattet euch nach den Maßstäben dieser Welt gerichtet und wart dem gefolgt, der über die Mächte der unsichtbaren Welt zwischen Himmel und Erde herrscht, jenem Geist, der bis heute in denen am Werk ist, die nicht bereit sind, Gott zu gehorchen. […] Doch Gottes Erbarmen ist unbegreiflich groß! Wir waren aufgrund unserer Verfehlungen tot, aber er hat uns so sehr geliebt, dass er uns zusammen mit Christus lebendig gemacht hat. Ja, es ist nichts als Gnade, dass ihr gerettet seid!« (Epheser 2,1-5)

Zweimal erinnert Paulus die Christen in Ephesus daran, dass sie, bevor sie sich Gott zuwandten, geistlich tot waren, das heißt, sie hatten keine Liebe zu Gott und wollten nicht nach seinen Maßstäben leben – aber durch den Glauben an Christus haben sie ein neues (geistliches) Leben erhalten.

Jesus sprach auch über den physischen und den geistigen Tod, als er sagte:

»Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können – die Seele können sie nicht töten. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele dem Verderben in der Hölle preisgeben kann.« (Matthäus 10,28)

Hier wird eine klare Unterscheidung zwischen den beiden getroffen. Noch deutlicher wird es erst am Ende der Bibel in der Offenbarung des Johannes, wo der Apostel schreibt:

»Das Meer gab seine Toten heraus, und auch der Tod und das Totenreich gaben ihre Toten heraus. Bei jedem Einzelnen entsprach das Urteil dem, was er getan hatte. Der Tod und das Totenreich wurden in den Feuersee geworfen; der Feuersee ist der zweite Tod.« (Offenbarung 20,13-14)

Hier erleidet sogar der Tod den »zweiten Tod«. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung der endgültigen Trennung (von Gottes Güte).

Halten wir also fest, dass der biblische Bericht über den Sündenfall sich in erster Linie mit dem Menschen und erst in zweiter Linie mit der übrigen Schöpfung befasst.

Betrachtet man den biblischen Schöpfungsbericht noch einmal genauer, so stellt man fest, dass zwar sowohl die Tier- als auch die Pflanzenwelt von Gott geschaffen und als »gut« bezeichnet wurden, dass aber ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Menschen und der übrigen Schöpfung besteht. Nur der Mensch wurde als Ebenbild Gottes geschaffen und erhält damit einen besonderen Status innerhalb der Schöpfungsordnung (vgl. auch 1. Mose 9,5).

  • Der Mensch wurde als moralisches Wesen geschaffen – Tiere und Pflanzen nicht.
  • Der Mensch fiel in Sünde und starb geistlich – Tiere und Pflanzen nicht!
  • Der Mensch leidet unter »Todesfurcht« und daher kam Christus als Mensch in diese Welt, um sich »der Nachkommenschaft Abrahams« anzunehmen (vgl. Hebr. 3,14-18) – nicht der Tiere und Pflanzen!
  • Der Mensch wird am Ende der Zeiten auferstehen und entweder das ewige Leben oder den zweiten Tod »erben« – Tiere und Pflanzen nicht (jedenfalls nicht im gleichen Sinne wie wir Menschen, natürlich ist die Flora und Fauna in der Neuschöpfung mit eingeschlossen).

Daher denke ich, dass es durchaus mit dem allgemeinen biblischen Zeugnis vereinbar ist, dass der Tod im Tier- und Pflanzenreich vor dem Sündenfall existierte und Teil der guten Schöpfung Gottes war.

Denn irgendeine Form des »Todes« muss es schon gegeben haben, denn von der Pflanzenwelt heißt es, dass sie dem Menschen und dem Tier zur Nahrung dient (vgl. 1. Mose 1,29-30).

Außerdem sehe ich es als sehr problematisch an, wenn wir von »unsterblichen« Tieren ausgehen. Denn dann stellt sich unweigerlich die Frage, wie die Erde die Masse an Tieren ertragen kann, die sich alle unkontrolliert vermehren?

Wenn wir uns Dokumentarfilme über die Pflanzen- und Tierwelt ansehen, wird in der Regel ein Punkt relativ oft betont – alles passt zusammen.

Es erstaunt mich immer wieder, wie harmonisch das Zusammenspiel in der Natur funktioniert. Alles scheint perfekt aufeinander abgestimmt zu sein, wobei auch das Prinzip »Fressen und gefressen werden« dazugehört. Problematisch wird es erst, wenn diese natürliche Harmonie gestört wird, etwa wenn bestimmte Tierarten durch menschliches Verschulden oder andere Umstände in fremde Ökosysteme eindringen und die heimische Flora und Fauna dezimieren, oder wenn Menschen aus Habgier ganze Lebensräume zerstören und damit das ökologische Gleichgewicht stören.

Manche halten eine Schöpfung erst dann für perfekt, wenn es keine Raubtiere mehr gibt, d. h., wenn kein Tier ein anderes frisst. Ich bin mir da nicht so sicher. Ich gehe davon aus, dass Gott Raubtiere und Fleischfresser bereits als solche geschaffen hat und dass sie nicht erst nach dem Sündenfall plötzlich ein Verlangen nach Fleisch entwickelt haben. Soweit ich weiß, töten Fleischfresser andere Tiere nie grundlos, sondern nur, weil sie Hunger haben oder ihr Revier verteidigen.

Eine weitere interessante Sichtweise zu dieser Frage fand ich bei Jonathan Edwards, einem amerikanischen Theologen aus dem 18. Jahrhundert. In seinem Klassiker Freedom of the Will geht er der Frage nach, was moralisches Handeln ist. Er schreibt:

»Tiere sind keine moralischen Personen: Die Handlungen einiger Tiere sind nützlich und angenehm; andere sind eher destruktiv. Da sie aber kein moralisches Vermögen oder einen Sinn für Zerstörung haben und nicht aus einer durch den Verstand geleiteten Entscheidung oder mit der Fähigkeit des Denkens und Überlegens handeln, sondern nur aus dem Instinkt heraus, und unfähig sind, durch moralische Anreize beeinflusst zu werden, sind ihre Handlungen weder sündig noch tugendhaft.«[1]

Edwards weist darauf hin, dass Tiere – anders als Menschen – aus Instinkt handeln und keine moralischen Wesen sind. Wenn ein Mensch einen Menschen tötet, ist das eine Sünde, weil es eine Übertretung der Gebote Gottes ist. Wenn ein Tier ein anderes Tier tötet, sündigt es nicht. Wenn ein Tier einen Menschen tötet, ist die Tat schlecht, aber wir können nicht sagen, dass das Tier gesündigt hat. In 1. Mose 9,5-6 lesen wir:

»Euer eigenes Blut darf auf keinen Fall vergossen werden. Wer dies tut, den ziehe ich zur Verantwortung; das gilt für Tiere genauso wie für Menschen. Wenn jemand seinen Mitmenschen tötet, dann fordere ich Rechenschaft von ihm. Wer das Blut eines Menschen vergießt, dessen Blut soll durch Menschen vergossen werden.« (NGÜ)

Nach der Sintflut schloss Gott einen Bund mit der gesamten Menschheit. Auch hier wird die Ähnlichkeit des Menschen betont, aber kein Wort darüber verloren, dass Tiere andere Tiere töten.

Waren Tiere ursprünglich mal Vegetarier?

Aber lehrt 1. Mose 1,30 nicht, dass alle Tiere vor dem Sündenfall Vegetarier waren und sagt nicht Jesaja, dass die Tierwelt bei der Wiederherstellung aller Dinge wieder Vegetarier sein werden?

Gute Frage. Bleiben wir zunächst bei der Mosestelle.

»Die Landtiere, Vögel und Kriechtiere dagegen – also alle Tiere, die Lebensatem in sich tragen – sollen sich von Blättern und Halmen ernähren.« (1Mo 1,30; NGÜ)

Zugegeben, auf den ersten Blick scheint der Text zu behaupten, dass die Tierwelt ursprünglich rein vegetarisch lebte. Ausleger weisen auch darauf hin, dass in vielen Kulturen Vorstellungen kursieren, dass es einst eine Zeit vollkommener Harmonie gab, in der die Tiere Vegetarier waren.

Dennoch sprechen meiner Meinung nach zwei Punkte gegen die Ansicht, dass (die gesamte) Tierwelt früher vegetarisch lebte.

  • Zunächst einmal scheint der Fossilienbestand dagegen zu sprechen. Trotz aller voreiligen Schlüsse und Fehlinterpretationen des fossilen Nachweises, die es sicherlich gibt, sollte es dennoch als Tatsache angesehen werden, dass unser Planet einst eine Vielzahl von tierischen Lebensformen beherbergte, die unmöglich alle zur gleichen Zeit gelebt haben können. Darüber hinaus deutet die Beschaffenheit von kleinen und großen Fleischfressern wie dem Tyrannosaurus Rex darauf hin, dass sie von Anfang an als Raubtiere geschaffen wurden. Außerdem finden Forscher immer mehr Fossilien, die Aufschluss über den Mageninhalt bieten, wie beispielsweise in diesem Fall, wo ein Meeresreptil mitsamt großer Beute gefunden wurde.
  • Zweitens müssen wir bedenken, dass die Aussage aus 1. Mose 1,30 im Kontext einer Kosmologie aus dem Alten Orient steht und daher nicht unbedingt in einem wissenschaftlichen, exakten Sinne zu verstehen ist.

Der Alttestamentler Bruce K. Waltke schreibt:

»Die Berichte vermitteln theologische Wahrheiten in der Sprache des Alten Orients; sie zielen nicht darauf ab, das Geschehene in der Sprache der Wissenschaft darzustellen. Sie lehren die Wahrheit, um Israels Weltanschauung in seiner Bundesbeziehung mit Gott zu formen.«[2]

Meiner Meinung nach gibt es zwei schlüssige Möglichkeiten, 1. Mose 1,30 in seinem Kontext zu erklären:

1. Die Aussage kann verallgemeinernd dahingehend verstanden werden, dass sich ein großer Teil der Tierwelt von Pflanzen ernährt (manche gehen von 90 % aus). Die meisten Tiere sind Pflanzenfresser, einige Arten ernähren sich sowohl von Pflanzen als auch von Fleisch, andere sind reine Fleischfresser.

2. Die Aussage kann auch theologisch verstanden werden, in dem Sinne, dass es hier weniger (oder gar nicht) darum geht, was die Tiere essen, sondern dass sie überhaupt zu essen haben. In anderen antiken Schöpfungserzählungen muss der Mensch arbeiten und den Göttern Opfer bringen, um sie zu versorgen. Das biblische Gottesbild ist jedoch ganz anders (Psalm 50 ist eine starke Polemik gegen diese Vorstellung). Nicht der Mensch kümmert sich um die Götter, sondern Gott kümmert sich um seine ganze Schöpfung und versorgt sie mit dem, was sie braucht.

Dieser Punkt scheint mir die wahrscheinlichste Absicht des Autors zu sein. Später in der Bibel wird dieser Aspekt der Fürsorge Gottes für seine Geschöpfe weiter hervorgehoben. Interessant in unserem Zusammenhang ist Hiob 38,39-40, wo Gott Hiob fragt:

»Erjagst du für die Löwin die Beute, und stillst du die Gier der jungen Löwen, wenn sie sich auf ihren Lagern ducken, im Dickicht auf der Lauer sitzen?«

Gott sorgt auch für die Fleischfresser und wird dafür auch in Psalm 104 gepriesen. Daher denke ich, dass es kein Problem mit der Ansicht gibt, dass einige Tiere schon immer Fleischfresser waren und dass dies Teil der guten Schöpfungsordnung Gottes war.

Zugegeben, auch wenn wir intellektuell keine Schwierigkeiten damit haben, kann es uns doch emotional berühren, wenn Tiere andere Tiere essen. Ich selbst hatte eine Zeit lang eine Anakonda als Haustier. Nun sind Schlangen reine Fleischfresser und so hatte ich keine andere Wahl, als sie mit Mäusen und Ratten zu füttern. Einmal habe ich eine lebende Maus gefüttert, dann bin ich auf Frostfutter (bereits tote Tiere) umgestiegen, weil mir die Beutetiere leid taten.

Aber ich vermute, wir reagieren so emotional darauf, weil es uns an unsere eigene Sterblichkeit erinnert und wir in einer von Sünde geprägten Welt leben, in der der Tod in tausend Formen hinter jeder Ecke lauert.

Zu diesem Thema fand ich neulich auch noch einen interessanten Gedanken von David Livingstone, dem berühmten Missionar und Afrikaforscher aus dem 19. Jahrhundert. Livingstone befand sich auf der Löwenjagd, als einer der angeschossenen Löwen ihn attackierte. Über das, was dann passierte, schrieb er Folgendes:

»Er knurrte furchtbar nah an meinem Ohr und schüttelte mich wie ein Terrier eine Ratte. Der Schock verursachte eine ähnliche Betäubung wie die, die eine Maus nach dem ersten Schütteln der Katze zu spüren scheint. Er verursachte eine Art Traumzustand, in dem ich weder Schmerzen noch Angst verspürte, obwohl ich mir all dessen, was geschah, durchaus bewusst war. Es war wie das, was Patienten, die teilweise unter dem Einfluss von Chloroform stehen, beschreiben, die die ganze Operation sehen, aber das Messer nicht spüren. Dieser eigentümliche Zustand war nicht das Ergebnis eines geistigen Prozesses. Das Schütteln löschte die Angst aus und ließ kein Gefühl des Entsetzens zu, als ich mich nach dem Tier umsah. Dieser eigentümliche Zustand tritt wahrscheinlich bei allen Tieren auf, die von Fleischfressern getötet werden, und ist, wenn dem so ist, eine barmherzige Vorkehrung unseres gütigen Schöpfers, um den Todesschmerz zu lindern.«[3]

Livingstone mag mit seiner Vermutung Recht haben oder auch nicht. Zumindest aber müssen wir zugeben, dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, wie Tiere den Tod empfinden oder wie sie ihn in einer Welt ohne Sünde empfunden hätten.

Francis A. Schaeffer schrieb dazu Folgendes:

»Die Aussagen der Bibel über die zukünftige Wiederherstellung der Schöpfung lassen darauf schließen, dass die Schöpfung ursprünglich einen inneren Frieden besaß. Das heißt nicht unbedingt, dass Bäume oder auch Fische und Landtiere vor dem Sündenfall nicht den Alterstod gestorben wären, es bedeutet aber, dass es keine Furcht vor dem Nicht-Sein (wie es den Menschen kennzeichnet) und keine Furcht vor der Gewalt gab.«[4]

Ähnlich argumentiert der Philosoph Ernest Becker, wenn er über den Tod des Menschen und den der Tiere schreibt:

»Es ist ein schreckliches Dilemma, mit dem er [der Mensch] leben und sich abfinden muß. Den niederen Tieren bleibt dieser schmerzliche Widerspruch erspart, denn ihnen fehlt die symbolische Identität und das dazu gehörige Bewußtsein […] Das Wissen um den Tod ist reflektiv und begrifflich: Den Tieren bleibt es erspart. Sie [er-] leben […] ein paar Minuten der Furcht, ein paar Sekunden der Todespein, und es ist vorüber. Aber ein ganzes Leben lang mit dem Schicksal des Todes zu existieren, das die Kreatur bis in ihre Träume hinein und selbst bis in die sonnigsten Tage hinein verfolgt, das ist etwas anderes.« (Dynamik des Todes, S. 54)

Doch ein letzter Gedanke muss noch angeführt werden, um dieses Thema umfassend zu behandeln. Denn eine Frage bleibt noch offen.

Werden Tiere in der Neuschöpfung Vegetarier sein?

Was ist mit den Aussagen, dass Tiere im endzeitlichen Friedensreich Vegetarier sein werden? Hier noch mal die entsprechende Bibelstelle:

»Und der Wolf wird beim Lamm weilen und der Leopard beim Böckchen lagern. Das Kalb und der Junglöwe und das Mastvieh werden zusammen sein, und ein kleiner Junge wird sie treiben. Kuh und Bärin werden miteinander weiden, ihre Jungen werden zusammen lagern. Und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und der Säugling wird spielen an dem Loch der Viper und das entwöhnte Kind seine Hand ausstrecken nach der Höhle der Otter. Man wird nichts Böses tun noch verderblich handeln auf meinem ganzen heiligen Berg.« (Jes 11,6-9)

Hier wird uns das Bild der vollkommenen Harmonie gezeigt. Im eschatologischen Friedensreich scheint es wirklich nur Vegetarier zu geben, so dass Fleischfresser und Pflanzenfresser friedlich zusammenleben, wie wir es heute nicht kennen.

Nun stellt sich die Frage, ob Jesaja hier wörtlich zu verstehen ist oder ob es sich um eine symbolische Sprache handelt, wie sie in der prophetischen Literatur recht häufig vorkommt.

Ein Kommentator aus dem 20. Jahrhundert schreibt:

»Aber vom höchsten geistigen Standpunkt aus wird das Bild selbst zur Realität, und man sieht, dass, wenn es im ›neuen Himmel und auf der neuen Erde‹ eine tierische Schöpfung gibt, es angemessen ist, dass dort auch unter der niederen Schöpfung Harmonie herrschen sollte. Die Sünde des Menschen mag zwar nicht zu Raub und Gewalt unter den Tieren geführt haben – immerhin sagen uns die Geologen, dass die Tiere sich gegenseitig ausplünderten, lange bevor die Erde vom Menschen bewohnt wurde -, aber dennoch kann der Einfluss des Menschen dazu führen, dass die natürlichen Triebe der Tiere ausgelöscht und sie zu etwas Höherem erzogen werden. Die Domestizierung führt bereits zu einer Übereinstimmung und Harmonie, die in gewissem Sinne gegen die Natur gerichtet ist. Könnte sich dies nicht im Laufe der Zeitalter fortsetzen und Jesajas Bild eine buchstäbliche Erfüllung finden?«[5]

Gary V. Smith bemerkt in seinem Kommentar jedoch:

»Der Text erklärt nicht vollständig, was diese Umwandlung der Feindschaft zwischen den Geschöpfen bewirkt hat; er sagt nur, dass es so sein wird.«[6]

Dass wir vorsichtig sein müssen, prophetische Literatur wortwörtlich zu verstehen, verdeutlicht Jesaja 65,17-25, wo wir von der Neuschöpfung lesen.

»Denn siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und an das Frühere wird man nicht mehr denken, und es wird nicht mehr in den Sinn kommen. … Und es wird dort keinen Säugling mehr geben, der nur wenige Tage alt wird, und keinen Greis, der seine Tage nicht erfüllte. Denn der Jüngste wird im Alter von hundert Jahren sterben, und wer das Alter von hundert Jahren nicht erreicht, wird als verflucht gelten« (Jes 65,17.20).

Das hebräische Wort, das hier für »schaffen« verwendet wird, ist dasselbe wie schon im biblischen Schöpfungsbericht und bedeutet eine schöpferische Handlung Gottes, im Gegensatz zu der schöpferischen Tätigkeit von uns Menschen. Das heißt, Jesaja verspricht hier die Wiederherstellung aller Dinge, die Rückkehr des Gartens Eden, wenn man so will. Der neue Himmel und die neue Erde ist das, was wir heute »Himmel« nennen, die Ewigkeit bei Gott.

Nun ist es aber für moderne Bibelleser recht verwirrend, wenn in der Jesaja-Stelle davon die Rede ist, dass Menschen sterben (wenn auch im hohen Alter) und Kinder zeugen (vgl. V. 20 und 23). Das passt nicht zu unserer Vorstellung von der Ewigkeit.

Einige konservative Ausleger kommen daher zu dem Schluss, dass es sich hier um das so genannte 1000-jährige Reich handelt, eine »Vorstufe« zur Ewigkeit. Das Problem ist jedoch, dass sich im Neuen Testament der neue Himmel und die neue Erde auf die Ewigkeit beziehen und nicht auf ein 1000-jähriges Reich.

Denn Offenbarung 21 scheint ganz klar von der Ewigkeit zu sprechen, wenn Johannes sagt:

»Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, und das Meer ist nicht mehr. […] Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.« (Offb 21,1.4)

Sowohl Jesaja als auch Johannes sprachen über dieselbe Sache, verwendeten aber unterschiedliche Bilder, um die zukünftigen Segnungen zu beschreiben. Während der alttestamentliche Prophet jedoch von einem langen, gesegneten Leben sprach, spricht Johannes davon, dass der Tod in der neuen Schöpfung völlig verschwunden ist. Jesaja beschrieb die neue Schöpfung mit einer eher ländlichen Idylle, Johannes spricht von einer himmlischen Stadt.

Ob die Tierwelt in der neuen Schöpfung tatsächlich rein vegetarisch leben wird oder nicht, sagt die Bibel nicht eindeutig. Einerseits betont die Bibel, dass wir auf einer erneuerten Erde leben werden und nicht in einer rein geistigen Welt. Es gibt also eine starke Kontinuität zu unserer heutigen Erde. Unsere Erde wird nicht vollkommen ausgelöscht, sondern vielmehr erneuert werden.

Andererseits sagt Johannes, dass sich die neue Schöpfung von der ersten Schöpfung, d. h. unserer heutigen Welt, unterscheidet. So gibt es zum Beispiel das Meer nicht mehr (vgl. Offb 21,1), und Sonne und Mond scheinen als Lichtquelle nicht mehr notwendig zu sein (vgl. Offb 21,23). Wie gesagt, es ist nicht klar, ob dies wörtlich oder symbolisch zu verstehen ist (ich tendiere zu Letzterem). Ob sich also die Tierwelt in der neuen Schöpfung rein vegetarisch ernähren wird, weiß ich nicht. Es ist denkbar, dass sie es tut. Warten wir es einfach ab.

Timothy Keller fasst die biblische Hoffnung wie folgt zusammen:

»Es wird eine Welt sein, in der Gerechtigkeit wohnt, in der alle Tränen abgewischt werden, in der Tod und Verwüstung für immer verbannt sind und wo Wolf und Lamm nebeneinander liegen – lauter poetische Bilder, die aussagen, dass unsere jetzige Welt von Grund auf repariert, geheilt, erneuert und aus ihrer Knechtschaft unter Tod und Verfall befreit werden wird.«[7]

Fazit

Der Artikel ist wieder einmal länger geworden, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte. Ich hoffe, zufriedenstellend dargelegt zu haben, dass es mit den biblischen Aussagen durchaus vereinbar ist, dass es den Tod schon vor dem Sündenfall im Tierreich gab. Daher spricht meiner Meinung nach nichts gegen eine Wertschätzung der Bibel als Gottes Wort und die Ansicht, dass unsere Erde bereits eine lange Geschichte hinter sich hat.


[1]  Jonathan Edwards, Freedom of the Will.

[2]  Bruce K. Waltke, An Old Testament Theology, Zondervan, 2007, S. 98.

[3]  David Livingstone, Missionary Travels and researches in South Africa.

[4]  Francis A. Schaeffer, Genesis in Raum und Zeit, R. Brockhaus, Wuppertal, 1976, S. 46.

[5]  Spence-Jones, H. D. M., Hrsg., Jesaja, The Pulpit Commentary (London; New York: Funk & Wagnalls Company, 1910), I, 203

[6]  Smith, Gary V., Jesaja 1-39, hg. von E. Ray Clendenen, The New American Commentary (Nashville: B & H Publishing Group, 2007), S. 273

[7]  Timothy Keller, Hoffnung in Zeiten der Angst – Wie die Auferstehung die Welt verändert, Brunnen, 2022, S. 300-301.

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